Den Tieren eine Stimme geben: Lilli

Ich bin einsam und mir ist kalt. Nicht nur, weil de Raum, in dem ich tagsüber gefangen gehalten werde, kaum Tageslicht hereinlässt, sondern weil ich gegenüber diesem Leben kalt geworden bin.

Aufgewachsen bin ich in einem Versuchslabor, in dem an meiner Mama Tests für Kosmetika durchgeführt wurden. Täglich hörte ich sie wimmern, weil man ihr Pflegecremes für die menschliche Haut in ihre mit Klammern aufgesperrten Augen getropft hat. Verätzten sie die empfindliche Netzhaut nicht, dann können sie auch unbedenklich auf die menschliche Haut aufgetragen werden. Meine Mama hatte immer sehr große Schmerzen und weinte die ganze Nacht leise in ihrem Käfig, der sich gleich neben meinem befand, vor sich hin. Die Hoffnung auf Liebe, Respekt, Würde oder gar Menschlichkeit hatte sie schon lange aufgegeben. Und sollte sie in diesem Leben auch nie kennenlernen.

Ich war damals noch zu klein, als dass man an mir solche Tests und Kosmetikversuche durchführen konnte und so wartete ich mit einem kleinen Stofftier, das mir eine Praktikantin jenes Labors zum Spielen schenkte, auf mein weiteres Schicksal. Das war das einzige Mal in meinem Leben, dass mir ein Mensch Gutes tat.

Eines Tages kamen ein Mann und eine Frau zum Direktor dieses Labors und sagten, dass sie mich im Namen einer bestimmten Organisation befreien und mir ein neues, schönes Zuhause geben wollen. Ich sollte an einen Ort gebracht werden, an dem auch andere Tiere leben würden. Da ich immer etwas kränklich war und zu diesem Zeitpunkt ausreichend Versuchstiere in diesem Labor ihr Dasein fristeten, willigte der Leiter ein, mich diesen Menschen mitzugeben. Ich glaube, er hat sich nicht einmal Gedanken darüber gemacht, was dieser Verein tut und wohin ich gebracht werden würde.

An diesem Tag keimte so etwas wie Hoffnung in mir auf: Hoffnung auf Wärme, Hoffnung auf ein Leben in Freiheit, Hoffnung auf eine Familie, Hoffnung auf Liebe. Meine Mama schaute mich beim Abschied zärtlich aus ihren gequälten, wunden Augen an und flüsterte die Worte: „Ich wünsche Dir ein besseres Leben, mein Liebes.“ Dann drehte sie sich schmerzerfüllt um.

Das fremde Paar packte mich in eine kleine Tasche und gemeinsam fuhren wir aus der Stadt hinaus auf das Land. Die Sonne schien hell und klar vom Himmel und ich konnte zum ersten und einzigen mal ihre Schönheit bestaunen. Nach einiger Zeit hielten wir vor einem großen Haus, das sehr abgelegen zwischen hohen Bäumen lag. Ich war sehr aufgeregt und auch neugierig, welche Tiere denn noch hier leben würden. Aber ich sah sie nicht und es war auch unheimlich still. Nun gingen wir auf das Haus zu und die Türe wurde aufgeschlossen. Die Mauern waren sehr dick und ich erkannte, dass sie doppelt isoliert waren. Jetzt verstand ich auch, warum ich vorher im Freien kein Geräusch hören konnte. Das Haus war schalldicht gemacht worden.

Im Inneren des Gebäudes war es nicht mehr so gespenstisch leise und vom Keller her hörte ich das Wimmern von unzähligen Hunden und auch meinen Artgenossen.

Da wurde mir klar, dass ich nicht in Sicherheit gebracht wurde, sondern von einem Gefängnis in das nächste. Die Frau hob mich aus der Tasche und trug mich in einen Raum, in dem sehr viele kleine Kleidungsstücke hingen. Dort suchte sie für mich einen Rock und ein Top aus und zog es mir an. Auch eine blonde Perücke mit langem Haar wurde auf meinen Kopf geklebt. Ich konnte es mir nicht erklären, warum man mich wie ein Menschenkind anzog.

Dann trug man mich in den Keller, wo ich alleine in einen dunklen, kleinen, fensterlosen raum gesperrt wurde. Ich kauerte mich verängstigt in eine Ecke, schloss die Augen und sehnte mich nach der Wärme meiner Mama. Und wartete. Wartete, was passieren würde. Wartete, bis der erste Mann kam und dann wurde mein Herz für immer kalt und ich war gebrochen….

 

Mein Name ist Lilli. Ich bin eine junge Schimpansendame in einem jener illegalen Tierbordelle, die es in ganz Europa gibt. Und warte noch immer…